Schweinehund
Wem die Energie für Übungen fehlt, hilft es vielleicht Wohlfühlübungen zu finden: Übungen oder Varianten von Übungen, die dir in dem Moment angenehm sind und dir guttun; nicht welche, die im Moment des Tuns anstrengend sind, aber von denen du weißt, dass sie dir später (langfristig) helfen. Das Konzept wäre dann, die Übung nicht zum Feind oder zur Aufgabe zu machen; sondern zu etwas, das dich entspannt, dir so guttut, so unanstrengend ist, dass du die Bewegung/die Dehnung ohne Anstrengung tun kannst, vielleicht sogar lieber als Fernsehen, oder während des Fernsehens – ohne Erwartung oder „Qual“, eher spielerisch, klein, unverbindlich.
Zum Beispiel könntest du eine Position einnehmen, die du gar nicht als „Übung“ ansiehst, aber trotzdem eine Abwechslung für deinen Körper bietet. Ich mache im Moment gerne Pilates: Das sind Bewegungsübungen – in so einem Fall kann man die Bewegung ganz klein und unspektakulär ausführen, behutsam; nur um zu gucken: wie reagiert mein Körper? Findet er das anstrengend? Sagt ihm das einfach nicht zu? Ist die Übung richtig vom Gefühl her, aber einfach nur zu anstrengend, wenn sie groß ausgeführt wird oder ich eh schon erschöpft bin?
Wenn du herausfindest, was die kleinen natürlichen Impulse deines Körpers sind, kannst du schonmal Übungen identifizieren, die deinem Körper schmecken. Einige Übungen sind zu einigen Zeiten nicht gut; je nachdem, in welchem Zustand der Körper ist. Und dann würde ich ganz sanft, vorsichtig, klein und bei den wohltuenden Übungen bleiben, sodass sie sich nach „nichts“ anfühlen. Dann bist du eher auf der Wahrnehmungsebene und etablierst eine Beziehung zu Positionen/Dehnungen/Bewegungen, findest heraus, wie du die wirklich findest; vielleicht viel anstrengender als du dachtest, aber klein und anspruchslos ausgeführt ist die Übung sogar wohltuend und erfrischend. Vielleicht legst du dich einfach auf den Teppich und streckst dich aus, machst dich lang, dehnst dich im Liegen. Passive Dehnungen eignen sich, wenn man eigentlich nur Liegen will – dabei musst du nur darauf achten, dass die Dehnung so mittig in deiner Komfortzone liegt, dass du dich wirklich dabei entspannen kannst; als würdest du im Bett liegen und einfach nur den Geräuschen lauschen. Auch im Bett selbst, kannst du im Liegen verschiedene dehnende Haltungen einnehmen, während die Gedanken noch kreisen. Das bringt auch die Gedanken und den Atem zur Ruhe, weil das Gehirn sich am Rande mit dieser ungewohnten Haltung beschäftigen kann.
Dass jemand mit vielen Verpflichtungen, viel Arbeit und wenig Zeit erschöpft ist, ist nicht verwunderlich. Dass sich Übungen dann wie Arbeit anfühlen, muss so sein. Daher hilft dir vielleicht eine andere Herangehensweise: Eine ganz leichte Übung zwischendurch, nur eine kleine Weile (aber ohne Hektik); eine entspannende andere, ungewöhnlichere Liegeposition am Boden beim Haustier oder morgens beim Snoozen; eine neue Sitzposition am Tisch beim Frühstück (den Ausgleich der Seiten im Blick behalten); die ein oder andere Streckung mehr von Armen, Schultern, Oberkörper in der Mittagspause. Du erreichst mehr mit weniger. Weil du viel willst, kommt dir dein Anspruch dazwischen. Indem du das Ergebnis loslässt, ist Bewegung, Dehnung, körperlicher Ausgleich freiwillig. Als Erstes wird dein Körper denken: „Oh, endlich will sie nichts mehr von mir und ich darf einfach sein“, und danach, wenn er Chance gehabt hat sich zu erholen, expandiert er automatisch sein Reich, in dem er sich wohlfühlen kann, wo er Kontrolle hat, wo er sich bewegen kann. Der Körper ist für Bewegung gemacht und die Neugier bleibt ihm erhalten. Der „Schweinehund“ ist wahrscheinlich tatsächliche Erschöpfung, Druck immer zu „machen“ und zu „erreichen“ und die ein oder andere Gewohnheit, wie Fernsehen, die erstmals das Gefühl von Erholung und Nichtstunmüssen vermittelt, aber einen auch nicht erfrischt und mit neuen Lebensgeistern ausstattet.
Von der Philosophie her geht dieser Ansatz in die Richtung von Feldenkrais, wo es um Wahrnehmung des Körpers geht und die Bewegung für die Wahrnehmung genutzt wird. Auf diese Art kannst du viel erreichen, weil du eine Verbindung zu deinen vielleicht sonst vernachlässigten körperlichen Empfindungen (Spannung, Schmerz, Verhärtung, Kontrolllosigkeit, Erschöpfung, Atmung, typischerweise angenommene oder bevorzugte Haltungen etc.) aufbaust, die du niemals finden würdest, wenn du 10 Wiederholungen einer Übung durchrattern oder bei jeder Dehnung an Selbstzwang denken würdest.
Selbstzwang ist nicht das Verhältnis, dass du zu deinem Körper haben willst. Wenn du mit deinem Körper „sprichst“ und ihn fragst, was er will, wird er dir vielleicht sagen: „Ja, ich bin erschöpft und ich möchte mich einfach mal ausstrecken und nichts machen oder in der Kindshaltung liegen, aber auch das ist ein Ausgleich und eine wahre Erholung, weil wir das sonst so selten machen“. Auf diese Art kommst du vielleicht auf neue Gedanken, was du deinem Körper bieten kannst, was er sonst nicht kriegt. Lege zum Beispiel die Beine an der Wand hoch, während du mit dem Rücken auf dem Boden liegst; das ist eine tolle Dehnung für die Körperrückseite und erfordert keine Anstrengung, wenn du ehrlich bist und so weit von der Wand abrutscht, dass die Dehnung wirklich nicht mehr ist als „mal was anderes“ und „nett“. Je leichter die Aufgabe, desto größer die freiwilligen und nachhaltigen Fortschritte, desto größer die Sicherheit im Körper und desto größer das Verlangen, mit der Zeit die Komfortzone zu vergrößern.
Ich glaube, die meisten Schweinehunde rühren von kopflosen Gewohnheiten und tatsächlicher Erschöpfung her, und der unterbewerteten Rolle von Regeneration und Reflektion in einer schnellen Gesellschaft – kein Grund sich schlecht zu fühlen. Der Schweinehund ist ein Schutzmechanismus, der Ruhe verordnet. Je mehr Zwang im Leben herrscht, desto mehr macht der Schweinehund sich bemerkbar, um dem Körper Erholung zu verschaffen. Nur leider sabotieren wir uns dann manchmal selbst, weil wir immer noch die Dinge machen, die wir machen müssen, und dem Schweinehund die Überhand lassen, wenn es um unsere persönlichen Angelegenheiten geht: Eigentlich würde ich gerne Sport machen; es wäre schön ein Instrument zu spielen; ich habe schon ewig keinen Ausflug gemacht. Indem ich den Schweinehund als Wachhund verstehe, sagt er mir, wann ich Ruhe benötige. Mit dieser Information kann ich dann überlegen, ob mir mein typisches Schweinehundverhalten wirklich Ruhe und Erholung und neue Kraft verschafft – oder mich nur von meinen eigentlichen Baustellen ablenkt. Es stellt sich dann heraus, dass Fernsehen vielleicht seine Reize in dem Moment hat, mir aber keine Energie bringt und besser als wohlüberlegte Freude zwischendurch genossen wird, statt als grundlegendes Erholungsprogramm.
Ich übernehme keinerlei Haftung für jegliche Verletzungen vor, während oder nach den Übungen oder Übungsvariationen.
Mein Ebook The Emotional Journey of Overcoming Muscle Pain.
2 Kommentare
nina
Hallo Hannah,
ich bin ganz zufällig auf Deine Seite gekommen, da ich auch so lange schon unspezifische Symptome habe.
Bei mir hat es vor ca. einem Jahr angefangen mit Herzrythmusstörungen und Rückenschmerzen zwischen den Schultern. Durch viel Dehnung und Blackroll Arbeit, habe ich den Schmerz und auch die Rhythmusstörung wegbekommen, aber der Schmerz wanderte über den Rumpf ins Becken. Allerdings war es bei mir nicht nur Schmerz, sondern ich spürte richtig die verhakten Muskelstränge durch ständiges Knacken und hin und herrollen…
Ich bin immer weiter auf die Suche nach Dehnübungen gegangen, habe Physio, Osteopathe und auch Schmerztherapeuten aufgesucht…ähnliche Geschichte wie bei Dir.
Mittlerweile bin ich mir recht sicher, dass es eine Beckenverwringung ist und alles verkürzt, verhärtet war…die Schmerzen sind besser, aber ich habe nun seit ein paar Wochen auf der lingen Rumpfseite das Gefühl, dass meine Muskeln sich durch lange Fehlhaltung und dadurch dass sie nicht beansprucht wurden zurückgebildet haben (nicht mehr dehnbar und flexibel) und ich dort ein Gefühl wie Leere habe…bei manchen Bewegungen entsteht das Gefühl ich habe dort keine Begrenzung, keinen Schutz mehr…aber auch hier kann mir wieder keiner helfen..ich weiß nicht genau was es ist, aber es fühlt sich furchtbar an und ich verzweifle darüber echt jeden Tag aufs Neue…
bin übrigens schon bisschen älter als du…41 und habe wahrscheinlich durch 3 Schwangerschaften meinen Körper überstrapaziert….lange Zeit die Kinder einseitig gehalten und mich zu wenig bewegt…dazu stress…
Naja, das sind meine Erfahrungen….vielleicht hast Du noch eine Idee, was das auf der SEite sein könnte…
Ansonsten wünsche ich Dir weiterhin Erfolg mit Deinen Übungen und Deiner tollen Seite!
Lg Nina
Hannah
Hallo Nina,
ich hab dir eine Email gesendet 🙂